Arbeitszeit

Arbeitszeit – kürzer bedeutet produktiver?

Einen Vollzeit-Job zu haben bedeutet hierzulande typischerweise, 40 Stunden pro Woche am Arbeitsplatz zu verbringen. Bei fünf Arbeitstagen sind das dementsprechend 8 Stunden pro Tag. Vielen Arbeitnehmern, insbesondere Eltern, fällt es dabei schwer, Karriere und Familie/Freizeit in Balance zu bringen.

Experiment Vier-Tage-Woche

Die Firma Perpetual Guardian, Neuseelands größter Treuhand-Verwalter, hat sich deshalb dazu entschieden, ein Experiment zu starten: Die Arbeitszeit aller Mitarbeiter wird auf 4 Tage pro Woche verkürzt, das Gehalt bleibt jedoch gleich. Im ersten Moment klingt diese Idee völlig verrückt, vor allem, weil das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt eine gute Auftragslage hatte und somit ausreichend Arbeit erledigt werden musste. Wenn man genauer hinschaut, hat diese Maßnahme aber eine Menge Vorteile zu bieten. Denn eine kürzere Vollzeit, egal ob es nun 32, 30 oder nur 28 Stunden sind, nutzt nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch den Unternehmen – und am Ende vor allem der Gesellschaft.

Perpetual Guardian startete das Experiment im Februar 2018 und löste damit weltweit Schlagzeilen aus. Das kleine Unternehmen vom Ende der Welt hatte einen Nerv getroffen. Studien zeigen, dass alleine hierzulande 18 Millionen Menschen gerne Arbeitsstunden abgeben würden. Selbst Manager sagen heute bei Befragungen, dass sie eigentlich lieber etwas kürzertreten würden. Ganz konkret entschieden sich Anfang des Jahres mehr als die Hälfte der Mitglieder der Eisenbahngewerkschaft EVG für mehr Freizeit statt für mehr Lohn. Und gerade erst hat die IG Metall auf großen Wunsch ihrer Mitglieder bei den Arbeitgebern den Anspruch auf eine Verkürzung der Arbeitszeit auf bis zu 28 Wochenstunden durchgesetzt.

Kürzere Arbeitszeit, mehr Produktivität

Die Forschung ist sich einig, dass zu viel Arbeit krank macht. Ebenso unumstritten ist, dass mehr Arbeit nicht zwingend auch mehr Leistung bringt, sondern eher das Gegenteil bewirkt. Genau solche Studien waren die Inspiration für Andrew Barnes, den Chef von Perpetual Guardian, das Experiment mit der Viertagewoche zu starten. Damit das gelingt, wurden die Betriebsabläufe optimiert, Konferenzen reduziert und „Nicht stören“-Signale eingeführt. Die Arbeitnehmer durften selbst entscheiden, wie sie sich die verbliebenen 32 Stunden pro Woche aufteilen. Das Experiment wurde von Forschern überwacht. Nach acht Wochen konnte festgestellt werden, dass die Arbeit nicht nur genauso gut erledigt wurde, sondern sogar besser als zuvor.

Wie das Experiment konkret verlaufen ist und wie das Ergebnis ausfällt, erzählt der CEO der Firma im folgenden Video:

Erfolgsmodell für alle?

Verkürzte Arbeitszeit und gleichbleibende Produktivität, dazu weniger Stress und mehr Zeit für die Familie – klingt nach einem Erfolgsmodell für die Zukunft. Aber klar: So einfach ist es natürlich nicht überall. Nicht immer kann Arbeit komprimiert werden und man sollte während der verkürzten Arbeitszeit auch nicht in Hektik verfallen müssen.

Damit eine Verkürzung wirkt, muss Arbeitszeit auch neu verteilt werden, notfalls auch auf mehr Stellen. Das muss auch nicht zwangsläufig mehr kosten. Forscher glauben, dass sich am Ende die Mehrkosten mit Einsparungen gegenrechnen könnten: Denn es gäbe zwar mehr Angestellte, jeder von ihnen wäre im Schnitt aber produktiver als zuvor und dazu auch noch weniger krank. In einem Altenheim bringt das nun nicht unbedingt mehr Einnahmen, in einer Fabrik oder Agentur aber schon. Beispiele für erfolgreiche Versuche gibt es hier darum auch viele, in Schweden, in Deutschland, in den USA und nun eben auch in Neuseeland.

Abseits der Kostenfrage gibt es jedoch ein weiteres Problem: den Fachkräftemangel. Berechnungen sagen, ohne Zuwanderung würde die Zahl der Menschen in Deutschland im erwerbsfähigen Alter von 54 Millionen auf 31 Millionen im Jahr 2060 sinken. Doch auch hierfür gibt es Lösungen: die Technik und eine gerechtere Verteilung. Gerade erst hat das Weltwirtschaftsforum eine Studie veröffentlicht, laut der schon 2025 Maschinen und Algorithmen mehr Arbeitsstunden verrichten werden, als Menschen. Ein Unternehmen, das sich jetzt schon auf all das vorbereitet, löst für sich nicht nur das Problem des Fachkräftemangels, es investiert auch in die Zukunft.

Für eine menschliche Lösung müsste man die vorhandene Arbeitszeit anders und vor allem gerechter verteilen. Denn jenen 18 Millionen Menschen, die dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung 2015 sagten, dass sie gerne Arbeitsstunden abgeben würden, standen schon damals fünf Millionen gegenüber, die gerne mehr gearbeitet hätten. Gehindert wurden sie daran beispielsweise von Steuern und Sozialabgaben, die jedes Plus an mehr Stunden und mehr Lohn aufgefressen hätten.

Wie diese neue Arbeitswelt dann letztendlich aussieht, wird sich zeigen. Wichtig ist allein, dass Arbeit nicht nur fair entlohnt, sondern auch gerechter verteilt wird. Am besten ginge das über eine Verkürzung der Vollzeit. Zum Nutzen der Arbeitnehmer, der Unternehmen und vor allem auch der Gesellschaft. Die Firma Perpetual Guardian in Neuseeland wird ihr Experiment jedenfalls in Zukunft fortsetzen: ab diesem Monat soll dort die Viertagewoche auf Dauer gelten.

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/karriere/arbeitszeit-vier-tage-arbeiten-statt-fuenf-eine-idee-mit-charme-1.4139317

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